Internationaler Hurentag: Sexarbeiter/innen haben keine Lobby!

Sexarbeiter/innen haben keine ausreichende Lobby. Doch ihre Rechte sind Menschenrechte! Eine Gesellschaft, die Huren ausgrenzt und kriminalisiert, muss sich zudem einige wichtige Fragen gefallen lassen – über Sexualität und darüber hinaus. Ein Gastkommentar zum Internationalen Hurentag am 2. Juni von Ariane (Sexarbeiterin)

Am 2. Juni ist „Internationaler Hurentag“, Geburtsstunde der europäischen Hurenbewegung. An diesem Tag im Jahr 1975 besetzten etwa 100 Prostituierte eine Kirche in Lyon, um erstmalig auf die Kriminalisierung ihrer Arbeit öffentlich aufmerksam zu machen.

Bis heute haben Sexarbeiter/innen keine politische Lobby. Wir sind auf Mitstreiter/innen angewiesen, die sich für unsere Interessen engagieren und für eine liberale Rechtsprechung eintreten.

Leider ist das geltende Prostitutionsgesetz unzureichend umgesetzt. Rechtssicherheit wird verhindert, indem Sonderregelungen Sexarbeit kriminalisieren und einschränken. Verbotszonen bewirken die Verdrängung der sichtbaren Prostitution in Randgebiete und ihr Abtauchen in den Untergrund.

In vielen Bundesländern wird das Prostitutionsgesetz ignoriert, die Gewerbezulassung mit der Begründung „sozial unwertiger Arbeit“ verweigert, weshalb viele Kolleginnen in illegalisierten Räumen arbeiten. Aufgrund der mangelnden Durchsetzung unserer Rechte ziehen viele Sexworker die anonyme Arbeit vor.

In der Praxis gilt das Sittenwidrigkeitsverdikt. Es führt dazu, dass unsere Dienste gerne in Anspruch genommen, Mitspracherechte uns aber aberkannt werden. In der Wahrnehmung vieler Bürger werden wir nicht als Menschen wahrgenommen, sondern als „Betroffene“ oder etwas Dinghaftes. Entmenschlichung und die Aberkennung unserer Würde führt zu risikoreichen Arbeitsbedingungen. Nur sensibilisierte Männer sind gute Kunden, die uns mit Anstand und Wertschätzung gegenübertreten.

Kunden wie Sexarbeiterinnen können sich nicht outen, um laut und hörbar ihre Interessen zu vertreten. Es bedeutet den Verlust ihrer sozialen Existenz.

Die Medienindustrie verheizt das Rotlicht, schlecht recherchiert und mit Falschaussagen unterlegt, wirkt es in den Köpfen des Publikums.

Über Prostituierte wird gesprochen, selten mit ihnen: Quoten-Huren werden zu Talkshows eingeladen, die den Prostitutionsgegnern kaum schlagkräftige Argumente entgegen halten oder hoffen, einen profitablen Nutzen aus der indirekten Werbung für sich oder ihren Betrieb zu schlagen.

Dies hat zur Folge, dass der Sexarbeit, ihren vielfältigen Erscheinungsformen, der Komplexität dieses anspruchsvollen Gewerbes, der Vielfalt unserer Lebensläufe kaum Ausdruck gegeben wird, sie in entmündigender Weise von Prostitutionsgegnern und Populisten vor sich hergetrieben werden, mit dem Segen eines akademischen „Expertentums“ samt Zahlenzaubers, das die Öffentlichkeit regelmäßig mit pseudo-wissenschaftlichen Ergebnissen traktiert, um vor allem eines zu erreichen: die Rücknahme des Prostitutionsgesetzes, also die Abschaffung der Prostitution.

Jedem geschichtsbewussten Menschen mit gesundem Menschenverstand ist klar, dass Sexarbeit zur Kulturgeschichte der Menschheit gehört und Verbote in aller Welt Prostitution nicht abschaffen, Sexarbeiter höchstens unkalkulierbaren Risiken aussetzen.

Wenn wir über die Ursachen von Sexarbeit und ihres gesellschaftlichen Umgangs in aller Welt sprechen, müssen wir über die jeweils geltende Sexualmoral nachdenken, darüber, dass Sexualität ein natürliches Begehren ist und warum Gesellschaften, die die „legitime“ Ausübung privater Sexualität, die Sex an Liebe und im Dienste der Reproduktionsmacht verordneter Normen bindet, keine anderen kulturellen Formen des Umgangs mit Sex gefunden haben außer Prostitution.

Die Gesellschaften müssen sich befragen lassen, warum sie die Vorteile des Konsums und der Globalisierung selbstverständlich in Anspruch nehmen, aber die Kehrseite ignorieren, bis die Armut an der eigenen Haustüre anklopft. Sie muss sich befragen lassen, warum eine Agrarpolitik es zulässt, Menschen in ihrer Heimat auszuhungern, die sie um des Überlebens willen veranlasst, Grenzen zu überschreiten.

Was ist von einer Kirchenpolitik zu halten, die in Afrika Schamanismus betreibt und keine menschenwürdige Sexualaufklärung, mit der Folge, dass Millionen Menschen an den Folgen von HIV sterben?

Was bedeutet eine Sexualmoral, die im Zölibat einer psycho-sexuellen Vergewaltigung das Wort redet, mit der Folge, dass das Thema Kindesmissbrauch an den Pfeilern der Kirche nagt? Wem nützen Politiken, die Opfer schaffen?

Sie nützen der Aufrechterhaltung des Status quo, also Machtinstitutionen, die befinden, was die Norm ist und die sich zynischerweise keinen Deut um das menschliche Wohlergehen scheren, soziale Ungleichheit und Chancenungerechtigkeit gar nicht ausschalten wollen, weil sie ihnen nützen; die eine Welt der Konsumenten heranzüchten, zugunsten einer Ideologie, die Menschen als „Ware“ wahrnimmt, die Grassroot-Bewegungen wie die Sexworker-Rights-Bewegung ignoriert.

Sexarbeiter in aller Welt wissen um die die traurigen Tatsachen sexueller Ausbeutung und Sklaverei und relativieren nichts. Wir verweigern lediglich, dass man uns unsere Selbstbestimmung abspricht und wir fordern, dass wir in politische Diskussionen und Entscheidungen eingebunden werden, die unsere Arbeit berührt. Sexarbeiter-Rechte sind Menschenrechte!

Weitere Infos:

Pressemeldung der Deutschen AIDS-Hilfe zum Internationalen Hurentag